Blog aus der Kunst- und Galerieszene in Koblenz Ehrenbreitstein. Hier leben und wirken Künstler seit 400 Jahren.
Samstag, 18. November 2017
"Kunst belebt das Geschäft" - ein persönlicher Rückblick von Martin Bredenbeck
Die 10. Kunsttage Ehrenbreitstein, am 4. und 5. November 2017, waren - zugegeben - meine
ersten. Obwohl ich schon lange in Koblenz einen festen Anker habe, habe ich es bislang nie
geschafft, mir die Präsentationen in Ehrenbreitstein anzusehen. Umso froher bin ich, das
2017 zum Jubiläum nachgeholt zu haben.
Die Kunstgeschichte ist mein Fach- und Berufsgebiet. Spezialisiert bin ich auf Architektur,
Denkmalpflege und Stadtbaugeschichte. In dieser Perspektive fand ich es besonders
interessant zu sehen, welche Impulse eine Kunstausstellung einem Ort wie Ehrenbreitstein
geben kann, der ja viele Schätze - auch Denkmäler - zu bieten hat, aber auch einige ungelöste
oder meiner Ansicht nach nicht gut gelöste bauliche Problemstellen aufweist. Dazu ein paar
durchaus persönliche Überlegungen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und immerwährende
Gültigkeit.
Ankommen: Zu Fuß nach E'stein ist es kein leichter Weg von der Südvorstadt aus. Über die
Brücke, dann links, sollte man meinen. Doch für Fußgänger ist die städtebauliche Anbindung
unbefriedigend. In der Baugeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wurden Eisenbahn und
später Autoverkehr derart privilegiert behandelt, dass man sich als Fußgänger mit einer
Menge an Unterführungen, Treppen und Sackgassen herumzuplagen hat. Man spaziert nicht
einfach rüber, man muss daran denken, rechtzeitig ans Rheinufer herabzusteigen oder die
Tiefgarage von Diehls Hotel als Abkürzung zu nutzen. Vielleicht bin ich auch nicht
ortskundig genug, doch jetzt plädiere ich dafür, diese Planungen mittelfristig nochmal
großzügig zu revidieren!
Auftakt: Diehls Hotel ist ein spannender Bau, der dem Rhein eine abwechslungsreiche
Schauseite zuwendet, dem Ort E'stein hingegen eine veritable Rückseite. Liebe Besitzer, bitte
ändert das bei Gelegenheit. Baulich ist vielleicht nicht viel nötig, und vielleicht kann eine
künstlerische Fassadengestaltung ein Ansatz sein. Die Idee der Kunsttreppe - die
"Kulturstufen" - im Inneren war jedenfalls großartig! So gewinnt das Treppenhaus ganz
neue Qualitäten. Eine gute Gelegenheit zur Einstimmung auf die 10. Kunsttage und zugleich
das Wiedersehen mit Künstlerinnen und Künstlern früherer Ausgaben.
Erste Station: Im Notariat Lanters zeigte Miriam Montenegro ihre Malerei. Architektur
spielt dabei eine bedeutende Rolle, z.B. in einer auch als Poster erhältlichen und bekannten
Stadtansicht von Koblenz, vom rechten Rheinufer aus gesehen. Die Auflösung der
Architektur in Farbflächen steht in der Tradition des Expressionismus und hat eine besondere
Poesie. Wie selbstverständlich sprechen in diesen Ansichten alte und neue Bauten gemeinsam
mit, die Kirchtürme ebenso wie die Koblenzer Hochhäuser. Passend also, dass für diesen
Beitrag moderne Architektur als Ausstellungsort gewählt wurde.
Zweite Station: Der Weg dorthin führte am unübersehbaren Lidl vorbei. Für die Versorgung
- wahrscheinlich?! - unverzichtbar, zeigt diese Architektur doch das ganze Wohl und Wehe
der aktuellen Ortsentwicklung: Der Discounter am Ortsrand leistet städtebaulich keinen
Beitrag außer der firmentypischen Satteldacharchitektur. Ausgedehnte Parkplatzflächen
reißen das städtebauliche Gefüge auf, Urbanität geht verloren. Aus der Logik des
Unternehmens ist das Operieren mit standardisierten Bauten und Mindestgrößen von Flächen
verständlich. Aus der Logik einer Ortsentwicklung im ästhetischen Sinne hingegen müssen die
Anforderungen größer werden. Und wenn dann der Discounter abspringt? Will man solche
Drohungen nicht mal riskieren?
Ankommen bei sowatech, wo Anneliese Geisler ausstellt. Moderne abstrakte Malerei und
Graphik im renovierten Altbau - ein spannender Kontrast. Beste preußische
Backsteinbaukunst zeigt das ehem. Hauptgebäude des Koblenzer Garnisonslazaretts von
1878, samt damals modernster Bauweisen wie den berühmten Kappendecken. Die
farbenfrohen, spielerischen Holzdrucke mit einem ganzen Set von Formen sprechen den
Architekturfreund besonders an.
Dritte Station: In der Humboldstraße ist aus einer Bäckerei die Kunstbackstube geworden.
Denkmalschutz at it's best! Die vermutlich um 1980 (plusminus) entstandene
Innenausstattung samt den knallorangenen Keramikwandfliesen mit graphischem
Kreismustern ist mit lockerer Hand zum Teil der Ausstellung geworden. In der Glasvitrine
Keramik und Graphik, wo früher Törtchen und Gebäck angeboten wurden, auf den Wänden
kleinformatige Werke, in den Schaufenstern schön arrangierte Objekte. Ein Kunstdenkmal
im rechtlichen Sinne wird diese Ausstattung sicher nicht werden, ein Denkmal von
Wertschätzung und Pflege ist diese Vorgehensweise allemal. Große Begeisterung zu Gast bei
Anja Bogott und Saskia de Kleijn.
Vierte Station: Atelier Lüpke und Wagner, zu Gast bei Christl Freimüller, Susanne Wagner
und Gudrun Lüpke-Dolny. Mittlerweile sind wir längst im Herzen von E'stein angekommen,
in den gewundenen Straßen, umgeben von vielen historischen Bauten und modernen
Ergänzungen, die den Maßstab respektieren. Das ist eines der großen Pfunde, mit denen der
Ort wuchern kann - das weitgehend geschlossene Erscheinungsbild im Inneren. Hier macht es
Freude, auf Entdeckungsreise zu gehen und den Windlichtern zu folgen, die die einzelnen
Stationen der Kunsttage markieren. Kunstateliers als Neunutzung früherer Ladenlokale sind
ein wunderbarer Ansatz, um Attraktivität zu schaffen. Denn einer der wichtigsten
denkmalpflegerischen Grundsätze lautet: Das beste Denkmal ist das genutzte Denkmal.
Vielleicht wäre es eine Option, wenn Eigentümer denkmalgeschützter Bauten ihre
leerstehenden Ladenlokale unentgeltlich für Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung
stellen? Ähnlich wie in der Kunstbackstube sind die Räume in der Wambachstraße schon
selber ein künstlerisches Erlebnis, in der Art und Weise wie hier Werke verschiedener Genres
miteinander gezeigt werden.
Fünfte Station: Nicht im Flyer genannt, aber dank der Licht-Ankündigung gut zu finden das
ehemalige Gefängnis im Turm in der Helfensteinstraße/Obertal. Besonders sehenswert ist der
aus Bruchstein errichtete, gewölbte Gefängnisraum mit der mutmaßlichen "Einstiegsluke"
von oben. Auf der rohen Wand machen sich die am PC erstellen Graphiken von Carolin Allar
sehr gut. Eine tolle Idee, mit persönlichem Einsatz diesen ortsgeschichtlich wichtigen Raum
wieder zugänglich zu machen.
Sechste Station: Aus Sicht des Denkmalpflegers und Denkmalpflege-Historikers eine
hochinteressante Station - die ehemalige Pallotiner-Kapelle; der ganze Komplex reicht bis
1883 zurück, wurde 1903 erweitert und bis 1978 von den Pallotinern genutzt. 1980 stand der
Abriss des Baus im Raum, zugunsten einer Umlegung der Straße Obertal. Was 1970
wahrscheinlich noch geräuscharm vollzogen worden wäre, war 1980 so einfach nicht mehr
möglich, denn zwischenzeitlich hatte das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 in ganz
Europa eine Welle der Begeisterung und Stärkung von Denkmalpflege und Denkmalschutz
ausgelöst. So wurde zum Glück auch in E'stein auf Sanierung entschieden, die dann 1989 bis
1991 durchgeführt wurde und aus der der Komplex als Stätte für Kunst und Kultur
hervorging. Neben der Unterstützung durch die Stadt Koblenz, das Land Rheinland-Pfalz
und die Koblenzer Wohnungsbaugesellschaft ist allen voran die Schlaraffia Confluentia (e.V.)
zu nennen, die Ausstattung und Bespielung übernahm. Schlaraffen aus Koblenz und aus der
ganzen Welt zeigten ihre Werke: Die Kapelle als fröhlicher Kunst-Tempel, und unter einem
Motto, das wohl unabhängig von Religion und Konfession Geltung hat: "In arte voluptas" -
"In der Kunst liegt das Vergnügen"; sehr menschlich gedacht!
Siebte Station: Werke des in Japan lebenden James Wallace Harris in der Galerie SEHR in
der Hofstraße. Wieder ein Altbau (im Kern 18. Jahrhundert!) mit neuer Nutzung - Kunst
belebt das Geschäft! - und wieder eine Auseinandersetzung mit Architektur in der Malerei.
Die Kompositionen aus Flächen und Strichen wecken Erinnerungen an futuristische Szenarien
aus Weltraumfilmen der 1960er Jahre: So stellte man sich doch damals die Mondstationen
vor. Wer sich tatsächlich Gebautes in solchen Formen anschauen will, besucht bei Gelegenheit
in Berlin das Tierversuchsinstitut der Freien Universität, den sogenannten Mäusebunker. Und
wer kennt noch "Flucht ins 23. Jahrhundert"?
Der Blick die Hofstraße entlang Richtung Festung zeigt, dass die Bauarbeiten an der Ecke in
vollem Gang sind. Gut, dass hier eine Lücke geschlossen und dabei eine historische Fassade
einbezogen wird. Ob sich das neue Gebäude stadträumlich bewährt und wie seine Fassade Teil
des Ortsbildes wird - zumal wenn sie dann zu altern beginnt -, wird sich zeigen.
Lückenschließungen sind jedenfalls das große Thema in E'stein, und es gäbe genügend
Potential, um den Stadtkörper zu verdichten, ohne ihn zu verengen. Denn erst die bauliche
Fassung schafft die Lebens- und Erlebnisräume.
Achte Station: Weiter zum Kapuzinerplatz. Aus städtebaulicher Sicht zum Schluss der Tour
leider eher Beklagenswertes. Die ganze Flanke zum Rhein hin ist eine einzige Abriegelung
durch die B42. So wichtig die Entlastung vom Verkehr auch ist, dieser Plan belastet die
Schönheit des Platzes beträchtlich. Dem ehemaligen Kloster und der ganzen Häuserzeile fehlt
die angemessene Antwort - sei es eine Neubauzeile, sei es der Blick unter Bahn und Straße
entlang auf den Rhein und die Innenstadt. Vielleicht wäre es hier angebracht, mittelfristig
nochmal ganz groß zu denken und den Verkehr in einen Tunnel am Ufer entlang zu verlegen.
Bevor die B42 unter Denkmalschutz kommt, denn gestalterisch hat die Anlage durchaus ihre
Qualitäten. Der letzte Kunstbesuch führt in Z's Atelier zu Christian Zsagar und David Jäger.
Spielarten graphischer Gestaltung zwischen Wort-Druck und ironisch-amüsanten Stickern
füllen den hohen Raum und ergeben mit den Gerätschaften fürs Drucken und Schaffen einen
unmittelbaren Eindruck.
Rückkehr auf die andere Rheinseite, nach fast 3 Stunden: Diesmal schon informierter und
schneller durch die Betonunterführungen. Und in dem Wissen, dass wir bei Weitem nicht alles
schaffen konnten und dass diese Auswahl sehr persönlich und auch ein wenig zufällig war.
Alle Teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sowie die gastgebenden Häuser haben zum
Gelingen einer wunderbaren Aktion beigetragen. Sie zeigt, dass Kunst ein wichtiger
Standortfaktor ist und dass attraktive Angebote die Menschen anziehen und begeistern. Die
Aktion lenkt zudem auf ihre Weise den Blick auf die städtebaulichen und architektonischen
Qualitäten und eben auch den Verbesserungsbedarf in E'stein. Danke an alle, die diese
Kunsttage ermöglicht haben! Und PS: Wir haben auch etwas gekauft und kaufen noch mehr,
versprochen. Denn darum geht es am Ende ja auch ein klein wenig.
Martin Bredenbeck
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